Announcement: Der Kampf von Inés Fernández gegen die Militärmacht in Guerrero
Positionspapier des Menschenrechtszentrum Tlachinollan aus Guerrero. 8. März 2023.
Hier gehts zum Original auf Spanisch
Ayutla de los Libres, Guerrero, 8. März 2023. – Am ersten März dieses Jahres verurteilte der Zweite Bezirksrichter des Bundesstaates Guerrero Hugo Humberto García de León zu 20 Jahren Gefängnis und entließ ihn aus seinem Amt für die Verbrechen der Folter, der Vergewaltigung, des Raubes und des Einbruchs an Inés Fernández Ortega, einer indigenen Me’phaa aus Barranca Tecuani, Gemeinde Ayutla de los Libres, Guerrero.
Am 22. März 2002 war Inés Fernández Ortega mit ihren vier kleinen Kindern zu Hause und bereitete in ihrer Küche frische Getränke zu. Unvermittelt stürmten Angehörige der mexikanischen Armee in ihr Haus. Mit Waffen in der Hand verhörten sie sie, fragten sie nach ihrem Mann und wollten wissen, wo sie das Fleisch, das auf ihrer Terrasse lag, gestohlen hatte. Als Inés nicht antwortete, wurde sie brutal verprügelt, vergewaltigt und sexuell gefoltert. Die Soldaten stahlen das Rindfleisch, das auf der Terrasse ihres Hauses lag.
Inés und ihre Familie begannen einen schmerzhaften Weg auf der Suche nach Gerechtigkeit. Sie gingen zur Staatsanwaltschaft und zu den Gesundheitszentren in Ayutla de los Libres, aber niemand kümmerte sich um sie. Sozial- und Menschenrechtsorganisationen mussten sie begleiten, damit sie ihre Beschwerde entgegennehmen konnten. Trotz dieser Begleitung gab keine Behörde eine befriedigende Antwort; im Gegenteil, die Ermittlungen wurden der Armee überlassen, die ihr jegliche Information verweigerte. Angesichts der Unmöglichkeit, das Vorgehen der Militärjustiz anzufechten, wandte sich Inés Fernández Ortega an die Interamerikanische Menschenrechtskommission und später an den Interamerikanischen Gerichtshof, wo sie zum ersten Mal angehört und ihr Wort respektiert wurde. Im August 2010 verurteilte der Interamerikanische Gerichtshof den mexikanischen Staat, werden der Verletzung der Rechte von Inés und ihrer Familie, und verpflichtete ihn, die Verantwortlichen zu bestrafen und den Schaden vollständig zu ersetzen.
In diesen 21 Jahren des unermüdlichen Kampfes hatte Inés Fernández die Kraft und den Mut, sich durch diesen Berg von Klagen zu kämpfen. Inés wurde aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer wirtschaftlichen Präkarität und ihres Geschlechts mehrfach diskriminiert, doch sie setzte ihren Kampf fort und versuchte, ihre sieben Kinder zu schützen. Inés ging mit ihrem Mann Fortunato und ihrer Familie mehrere Stunden zu Fuß, um diese grausamen Handlungen bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen.
Sie wurde ständig gehänselt, weil sie Me‘ Phaa sprach. Trotzdem hat Inés nie aufgegeben oder ihren Kampf aufgegeben. Mit schlammverschmierten Füßen und ihrem kleinen Sohn auf dem Rücken hat sie zwei Jahrzehnte lang dafür gekämpft, dass die Justizbehörden unseres Landes ihr in ihrer Muttersprache zuhören und sie als Person mit vollen Rechten respektieren.
Anstatt sie zu schützen, durfte die Armee ihr Haus belagern und Druck auf die Behörden ihrer Gemeinde ausüben, um Inés daran zu hindern, sie zu denunzieren. Ihre Kühnheit kam ihr teuer zu stehen: Ihr Bruder Lorenzo wurde getötet und ihre Tiere wurden ständig geschlachtet. Der Interamerikanische Gerichtshof sprach ihr provisorische Sicherheitsmaßnahmen zu, da ihr Leben und das ihrer Familie in Gefahr sein könnte.
Aufgrund der Gewalt, die in der Region herrscht, und der zahlreichen Feminizide an indigenen Frauen ist diese Maßnahme bis heute aufrecht. Die Straflosigkeit, also die Tatsache, dass die Täter nicht vor Gericht gestellt werden, stellt eine echte Bedrohung für die indigenen Frauen dar, die weiterhin völlig schutzlos sind. Die von der Armee im Rahmen ihrer Aufstandsbekämpfungsstrategie ausgeübte territoriale Kontrolle, die indigene Gemeinschaften, die sich selbständig organisieren, unterdrückt, stellt eine Bedrohung für die Frauen dar, weil die Militärs, die die Menschenrechte verletzen, nicht bestraft werden.
Das Urteil des Zweiten Bezirksrichters gibt Inés Recht und bestätigt ihre Aussage. Sie ist eine Frau, die immer die Wahrheit gesagt hat. Dieses Urteil berücksichtigt die Grundsätze einer geschlechtsspezifischen Rechtsprechung, für die Bewertung von Beweisen in Fällen von Gewalt gegen Frauen in ihrer richtigen Dimension und berücksichtigt die Überschneidung von Diskriminierung, die indigene Frauen erleiden, und die asymmetrischen Beziehungen, die mit den Militärbehörden bestehen, die sie angreifen.
Nach 21 Jahren durchbrach Inés die Mauer der Straflosigkeit und erhielt Zugang zur Justiz. Als Menschenrechtszentrum Tlachinollan bewundern wir die Würde und den Mut von Inés, die trotz der Drohungen und all des Leids, das sie zusammen mit ihren Kindern ertragen musste, nie geschwiegen hat und nie zurückgewichen ist.
Das Urteil des Zweiten Bezirksgerichts erging nach zwei Jahrzehnten in einem Kontext, der der mexikanische Armee umfassende Befugnisse in Sachen öffentlicher Sicherheit zugesteht.
Der Fall von Inés zeigt deutlich, was passiert, wenn die Streitkräfte Aufgaben der öffentlichen Sicherheit übernehmen und keine zivile Kontrollmechanismen existieren, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. In diesem Fall war es der Hartnäckigkeit von Inés und der Begleitung durch soziale Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen zu verdanken, dass der Soldat, der die Würde von Inés Fernández Ortega verletzte, verurteilt werden konnte.
Dieser beispielhafte Kampf ist ein Triumph für die Frauen in Mexiko, die gegen die Militarisierung und gegen die institutionelle Gewalt des Militärs kämpfen und die ihr Leben gegeben haben, damit die Würde der Frauen nie wieder verletzt wird.
Announcement: Petition für die Verschwundenen Ricardo Lagunas und Antonio Díaz
Verschwundene Menschenrechtsverteidiger
Mexiko / Jänner 2023:
Ricardo Arturo Lagunes Gasca (Menschrechtsanwalt) und Antonio Díaz Valencia (Aktivist und Professor) sind seit Sonntag (15.1.2023) verschwunden.
Ricardo Lagunes ist seit 15 Jahren als Menschenrechtsanwalt tätig und unterstützt rechtlich z.B. die Proteste gegen den Bau des Flughafens von Atenco. Aktuell ist er aktiv für die Gemeinde Aquila in Michoacán in ihrem Kampf gegen die negativen Folgen einer Mine und Gruppen der organisierten Kriminalität.
Antonio Díaz Valencia ist Professor und Sprecher der Nahua-Gemeinde in Aquila. Er ist Menschenrechtsaktivist und bereits seit der Entstehung der Mine (1998) in Opposition zum Bergbaukonzern Ternium.
In Mexiko ist es leider alles andere als selten, dass Menschenrechtsaktivist*innen verschwinden. Verbindungen zwischen staatlichen Strukturen, bewaffneten Mafia-Gruppen, sind bekannt. Der Bergbau gilt als sehr anfällige Branche für das organisierte Verbrechen.
Die beiden waren am 15.1.2023 erst bei einer Versammlung in Aquila (Michoacán) und anschließend gemeinsam auf dem Weg Richtung Colima. Zuletzt hörte man von ihnen um 18.50 Uhr auf der Brücke Coahuayana in Michoacán. Das Auto mit dem sie unterwegs waren, wurde mit Schuss-Spuren gefunden. Allerdings fand man weder Blut- noch Hinweise auf den Verbleib der beiden.
Wir fürchten daher um ihr Leben, aber hoffen weiterhin.
Angehörige fordern, dass (neben lokalen) auch die mexikanischen Bundesbehörden aktiv werden, was die Regierung derzeit verweigert und für die sichere Heimkehr von Ricardo Lagunes und Antonio Díaz sorgen.
Bitte unterschreibt diese Petition, mit der oben genannten Forderung:
Demandamos presentación con vida de Ricardo Arturo Lagunes Gasca y Antonio Díaz Valencia
Mehr Infos auf Deutsch auf amerika21.de: Attacken gegen organisierte Nahua-Gemeinden in Michoacán
Announcement: Unser lieber Freund und Mitbegründer des Solidaritätskomitees Mexiko Salzburg ist gestorben.
Wir bedanken uns für eine besondere gemeinsame Zeit.
Nachruf des Solidaritätskomitees Mexiko Salzburg
Obituario del Comité de Solidaridad México Salzburgo
Unsere letzte Radiosendung mit Ricardo
Nachruf von Erich Hackl, erschienen in der „Jungen Welt“:
Der Unersetzliche
Zum Tod des austro-mexikanischen Arztes und Menschenrechtsaktivisten Ricardo Loewe (1941-2022)
Erich Hackl
Unter den zahllosen Brecht-Zitaten ist eines, das der kubanische Liedermacher Silvio Rodríguez in ganz Lateinamerika populär gemacht hat. Es würdigt Menschen, die gegen das Unrecht kämpfen – einen Tag, ein Jahr, viele Jahre. Das seien die Guten, die Besseren, die sehr Guten. »Aber es gibt Menschen, die kämpfen ihr Leben lang: / Das sind die Unersetzlichen.«
Ricardo Loewe, der am 9. November in Wien verstorben ist, war einer dieser Unersetzlichen, und deshalb trauern nicht nur seine Frau Franziska und sein Sohn Andrés um ihn, sondern auch seine vielen »Haberer« (ein Austriazismus für Freunde, Kumpel, Komplizen, den er gern in seine Reden einflocht). In Mexiko, wo er 1941 geboren ist und den größten Teil seines Lebens verbracht hat, ebenso wie in Österreich, das ihm dank seiner Frau zur späten Wahlheimat wurde, auch wenn er bis zum Ausbruch seiner tödlichen Krankheit zwischen beiden Ländern pendelte. Aus Wien stammte Ricardos Mutter Liesl Deutsch, der 1939 die Flucht nach Mexiko gelang, aus Frankfurt am Main sein Vater Paul Loewe, der schon fünf Jahre zuvor dem Naziterror entkommen war. Obwohl das Trauma der erlittenen Verfolgung in der Familie spürbar war, erfuhr Ricardo erst mit 16 von seiner jüdischen Herkunft. Er verdrängte sie nicht, sah aber keinen Anlass, sich deshalb religiös oder national zu positionieren. Hingegen erkannte er, dass in Mexiko nicht die Flüchtlinge aus Europa diskriminiert wurden, sondern die indigenen Völker. »Wir duften uns in Gruppen zusammenschließen, unsere Sprache sprechen und unseren Glauben bekennen. Ein Privileg, das der Urbevölkerung nicht zustand und auch heute noch nicht zusteht.«
Announcement: Nächster Termin Seminar Menschenrechtsbeobachtung in Chiapas
Fr., 27. Mai bis So.. 29. Mai 2022 findet das nächste Vorbereitungsseminar zur Menschenrechtsbeobachtung in Chiapas / Mexiko statt!
Announcement: Zapatistische Delegationen in Salzburg!
Wir möchten euch herzlich einladen zu einer
Veranstaltung mit zwei zapatistischen Delegationen der „Reise für das Leben“
zum Anlass 500 Jahre der Eroberung von Tenochtitlán – heute Mexiko Stadt
am Donnerstag, 7.10.2021 um 19:00 Uhr
im Parkhotel Brunauer, Kapuzinersaal, Elisabethstraße 45A, 5020 Salzburg
Wir stellen unseren Gästen die Frage, wie sie Demokratie in ihren autonomen Gebieten gestalten und aufbauen, und was sie unter Demokratie verstehen.
Wir freuen uns, wenn es im Anschluss zu einem Austausch über die unterschiedlichen Vorstellungen und Praktiken von Demokratie und Demokratieverständnis in Österreich und Mexiko/Chiapas kommt.
Weitere Informationen zur „Reise für das Leben“ zapalotta – ¡Zapatistas a Austria! Zapatistas to Austria! Zapatistas nach Österreich!
Die Veranstaltung wird Spanisch/Deutsch übersetzt – Bitte 3G-Regel beachten und Nachweis mitnehmen (Testung vor Ort möglich)
Veranstalter_innen: Verein INTERSOL, Solidaritätskomitee Mexiko Salzburg
Mit freundlicher Unterstützung der AK Salzburg