Sticky: Unterstützung aus Salzburg für den Kampf für den Kampf indigener Frauen um Gerechtigkeit in Guerrero / Mexiko
Ein Projekt mit dem entwicklungspolitisches Beirat Salzburg überstützt indigene Me’Phaa-Frauen des Gemeinschaftszentrums “Guwá Kumá“ im Kampf gegen patriachale Gewalt
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Der entwicklungspolitische Beirat Salzburg und das Solidaritätskomitee Mexiko-Salzburg unterstützen im Rahmen eines gemeinsamen Projektes indigene Me’Phaa-Frauen im Kampf gegen patriachale Gewalt. Die Zusammenarbeit ermöglicht den Frauen des Gemeinschaftszentrums “Guwá Kumá“ eine umfassende Weiterbildung und soll die Position von indigenen Frauen in der Region langfristig stärken.
Das Frauen-Gemeinschaftszentrum “Guwá Kumá“: „Casa de los Saberes de las mujeres Me’pháá” in Ayutla de los Libres (Guerrero / Mexiko)
Das Frauen-Gemeinschaftszentrum “Guwá Kumá“ in Ayutla de los Libres ist ein Produkt des Kampfes gegen Gewalt an Frauen von Inés Fernández Ortega und ihren Mitstreiterinnen. Sie wurde Opfer von sexueller Folter durch das mexikanische Militär und erwirkte trotz aller Schikanen der nationalen Behörden ein Urteil des interamerikanischen Gerichtshofes, das die Errichtung des Zentrums als Teil der Reparationsmaßnahmen zusagte. 2021 konnte es, etwa 10 Jahre nach dem Urteilsspruch, eröffnet werden. (Zum Kampf von Inés Fernández Ortega siehe unten)
Seither unterstützt das Frauen-Gemeinschaftszentrum (meist indigene) Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. Ausgebildete Fachfrauen bieten professionelle Unterstützung bei Gewalterfahrung an. Es dient als Zufluchts- und Schutzraum für Frauen die psychische oder physische Gewalt erfahren haben und als Treffpunkt für indigene Frauen um sich gegen die herrschenden Zustände von Marginalisierung und Gewalt zu wehren, sich weiterzubilden oder auch einfach um sich besser kennenzulernen. Ausgebildete Fachfrauen professionelle Unterstützung bei Gewalterfahrung an.
Der organisatorische Kern und das wichtigste Entscheidungsgremium des Zentrums ist der “Consejo de Embajadoras” oder “Gujú Etsún” (Freiwillige), dessen Vorsitz Inés Fernández Ortega innehat. Ihre Mitglieder begleiten Inés Fernández Ortega seit Langem, genießen in ihren Me’pháá-Gemeinden große Legitimität und treten in der gesamten Region als Botschafterinnen des Zentrums auf.
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Der Fall Inés Fernández-Ortega und die Errichtung des Frauen-Gemeinschaftszentrums in Ayutla
Vor über 20 Jahren wurde Inés Fernández-Ortega von Militärs vergewaltigt und sexuell gefoltert. Der Fall offenbart die systematische patriachale Gewalt denen insbesondere indigene Frauen seitens des Militärs ausgesetzt sind. Für Täter in den Reihen des Militärs herrscht in Mexiko weitgehende Straffreiheit. Im Fall Inés Fernández-Ortega konnten jedoch gerichtliche Erfolge erzielt werden. Der unermüdliche Kampf von Inés und ihrer Verbündeten gegen die Straflosigkeit und für die Rechte von indigenen Frauen, zeigt, dass Erfolge, trotz widriger Umstände, möglich sind. Ein kurzer Überblick:
Die Gewalttat
Am 22. März 2002 stürmten Angehörige der mexikanischen Armee gewaltsam das Haus von Inés Fernández-Ortega in der Comunidad Barranca Tecuani im Municip Ayutla de los Libres, Guerrero/Mexiko. Sie fragten nach dem Aufenthaltsort ihres Ehemannes und als Inés nicht antwortete wurde sie von den Soldaten vor den Augen ihrer Kinder brutal verprügelt, vergewaltigt, sexuell gefoltert und anschließend noch bestohlen.
Der Kontext: Unterdrückung indigener Frauen und Militarisierung
Inés Fernández-Ortega ist Angehörige der indigenen Gruppe der Me’Phaa und spricht vor Allem ihre Erstsprache Tlapaneco (oder Me’Phaa). Indigene werden in der Region nach wie vor massiv rassistisch diskriminiert, insbesondere wenn ihre Kenntnisse der Kolonialsprache Spanisch begrenzt sind.
Dabei sind indigene Frauen besonders von Marginalisierung betroffen. Sie leben unter ökonomisch sehr prekären Bedingungen und stehen oft in starker Abhängigkeit zu männlichen Familienmitgliedern. Ihr Zugang zu Einrichtungen des Bildungs-, Gesundheits- und Justizsystems ist stark eingeschränkt und sie erfahren vielfach Diskriminierung seitens der Behörden. Auch in Mexiko findet der Großteil sexualisierter Gewalt in der Familie beziehungsweise im sozialen Nahbereich statt. In der Region ist zudem die Gewalt durch kriminelle Gruppen, sowie institutionelle Gewalt durch Polizei und Militär ein großes Problem.
Die Gewalttat gegen Inés Fernández Ortega durch Angehörige der mexikanischen Armee, fand im Kontext einer umfassenden Militarisierung der Region statt. Zu dieser Zeit erhöhte die mexikanische Regierung die Präsenz schwerbewaffneter Soldat*innen in den Gemeinen, mit dem Argument das organisierte Verbrechen und aufständische Gruppen bekämpfen zu wollen. Die Region gehört zu den ärmsten in ganz Mexiko. Der Grad der Marginalisierung, insbesondere der indigenen Bevölkerung ist sehr hoch. Gleichzeitig sind auch soziale Bewegungen sehr präsent. Insbesondere indigene Campesin@s organisieren sich sich oppositionellen Organisationen gegen Ausbeutung, sowie Diskriminierung und die schlechten Lebensbedingungen. Der indigene Bevölkerungsteil wird von den Behörden oft als „Modernisierunghindernis“ betrachtet und den Angehörigen pauschal Sympathien für oppositionelle und angeblich staatsfeindliche Gruppen unterstellt. Dementsprechend brutal agiert das Militär in den Gemeinden und zwar weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne wirksame zivile Kontrolle.
Das Schweigen brechen – Gegen die Straflosigkeit
Der Fall Inés Fernández Ortega ist kein Einzelfall. Viele indigene Frauen in der Region haben ähnliches erlebt oder müssen befürchten Ähnliches zu Erleben. Der Großteil der Gewalt wird weder behördlich angezeigt, noch öffentlich gemacht da kein Vertrauen in die staatlichen Behörden besteht, noch weniger wenn sich die Vorwürfe gegen Soldaten richten. Für Täter in den Reihen des Militärs herrscht weitgehend Straffreiheit. Doch Inés Fernández Ortega hat, auch stellvertretend für andere indigene Frauen, das Schweigen gebrochen und einen langen und Beschwerlichen Kampf für Gerechtigkeit auf sich genommen, der mit vielen Höhen und Tiefen bist heute andauert.
Zunächst wurden Inés und ihre Familie von den mexikanischen Behörden abgewiesen. Durch die Unterstützung von Sozial- und Menschenrechtsorganisationen war es aber schließlich möglich offiziell Beschwerde einzulegen. Jedoch wurden die Ermittlungen der Militärjustiz überlassen, wobei die Armee die Herausgabe jeglicher Informationen verweigerte. So wandten sich Inés Fernández Ortega und ihre Unterstützer*innen an internationale Institutionen, zuerst an die Interamerikanische Menschenrechtskommission und später an den Interamerikanischen Gerichtshof, wo sie schließlich zum ersten Mal Gehör fanden.
Inés wurde aufgrund ihrer indigenen Herkunft, ihrer Sprache Me’ Phaa, ihrer Klasse und ihres Geschlechts diskriminiert und von den Behörden abgewimmelt. Dennoch setzt sie den Kampf unermüdlich fort. Sie ging, mit ihrem kleinen Sohn auf dem Rücken, immer wieder mehrere Stunden zu Fuß um die Praktiken des Militärs und der Behörden anzuprangern und nahm ein großes Risiko auf sich, weil sie nicht bereit war zu Schweigen und die Gewalt einfach hinzunehmen.
Die Armee belagerte mehrmals ihr Haus und übte massiven Druck auf die Behörden aus um Inés daran zu hindern, sie zu denunzieren. Inés, sowie ihre Familie und Unterstützer*innen erhielten Mord-Drohungen und ihre Tiere wurden mehrfach geschlachtet, was sie in finanzielle Nöte brachte. Schließlich wurde sogar ihr Bruder und Unterstützer, Lorenzo, ermordet.
Angesichts der akuten Lebensgefahr für Inés und ihre Familie sprach der Interamerikanische Gerichtshof eine einstweilige Verfügung aus, die das Leben von Inés und ihrer Familie schützen soll. Diese ist bis heute aufrecht, da das Bedrohungsszenario sich nicht verändert hat.
Trotz alledem hat Inés nie aufgegeben und es letztlich geschafft, dass durch internationalen Druck die mexikanischen Behörden ihr auch in ihrer Muttersprache Me’Phaa Gehör schenken mussten und sie als Person mit vollen Rechten anerkannten.
Urteil und Reparationen
Im August 2010 verurteilte der Interamerikanische Gerichtshof den mexikanischen Staat, weil er die Rechte von Inés und ihrer Familie verletzt hatte, und verpflichtete ihn, die Verantwortlichen zu bestrafen und Aktionen zur Reparation zu leisten. Angesichts des internationalen Drucks erkannte der mexikanische Staat seine Verantwortung offiziell an und akzeptierte die vom Interamerikanische Gerichtshof geforderten Reparationsleistungen.
Der Prozess der Reparation stockt allerdings. Immer wieder versagt der Staat hinsichtlich der im Urteil geforderten Maßnahmen. Es kommt zu massiven Verzögerungen, Absagen und mangelhafter Umsetzung. Die strukturellen Bedingungen haben sich kaum verändert und dem im Urteilsspruch geforderten Frauen-, Gemeinschafts- und Gewaltschutzzentrum fehlt es am Nötigsten.
Trotz dieser zermürbenden Praktiken, kämpft Inés weiterhin für die Durchsetzung von Gerechtigkeit. Unermüdlich fordert sie die Umsetzung der geforderten Maßnahmen und organisiert sich mit Anderen gegen Gewalt und für die Rechte von indigenen Frauen und Mädchen in der Region.
Das Urteil 2023
Am 1. März 2023 verurteilte erstmals auch ein nationales Gericht einen Täter wegen der sexualisierten Gewalt gegen Inés Fernández Ortega. Der Soldat Hugo Humberto García de León wurde wegen sexueller Folter, Vergewaltigung, Raubes und Einbruchs zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Zudem wurde er aus seinem Amt als Unteroffizier der mexikanischen Armee, das er bis dahin inne hatte, entlassen.
Das Urteil im Jahr 2023 ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Auch wenn es erst über 20 Jahre nach der Tat erfolgt, bricht es, zumindest in diesem Fall, mit der immer noch vorherrschenden Straflosigkeit für Militärs in Mexiko und ermöglicht Inés Zugang zur Justiz, was für indigene Frauen in Mexiko oft verunmöglicht wird.
Zudem berücksichtigt das Urteil die Verschränkung von verschiedenen Diskriminierungsformen die indigene Frauen in marginalisierten Gegenden erleiden.
Ausblick
Die Verurteilung eines Täters ist eine gute Nachricht. Dennoch sind große Teile der geforderten Reparationsleistungen nicht erfüllt. Die Marginalisierung von indigenen Frauen und die Bedingungen die zu den Gewalttaten an Inés (und weiteren) geführt haben, dauern an. Zudem ergeht das Urteil in einem Kontext, in dem die aktuelle Regierung die Militarisierung massiv vorantreibt. Dabei zeugt der Fall von den Gefahren, insbesondere für indigene Frauen, die von einer Militarisierung der Gesellschaft bzw. der öffentlichen Sicherheit ausgehen.
Dennoch ist das Urteil ein Erfolg und der andauernde Kampf von Inés eine große Inspiration und Bestärkung für all jene die sich trotz der Gefahren und widrigen Umstände gegen patriarchale Gewalt, Militarisierung und gegen institutionelle Gewalt kämpfen.
Video / Interview ( Mephaa mit spanischen Untertitel): https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=4aaUiR4hjmY&feature=youtu.be