Erfahrungsbericht Menschenrechtsbeobachtung in Chiapas 2011
februar 2011/
ich fahre nach san christobal de las casas / eine charmante stadt, bunt durch die verschiedensten menschen die sich dort aufhalten / frauen aus den umliegenden doerfern, die nach “sanchri” kommen um ihr handwerk in allen erdenklichen farben zu verkaufen / strassenmusiker aus aller welt / kinder, die schuhe putzen oder chicles (kaugummis) verkaufen / alte frauen, die kulis mit koepfen von subcomandante marcos oder comandante ramona fuer einige pesos anpreisen / indigene kulturen trifft kulturen aus aller welt durch die vielen menschen, die in san christobal bleiben um dort zu leben /
ich spaziere durch die gassen bunter, einstoeckiger haeuser zum menschenrechtszentrum frayba / es ist montag 11 uhr / treffpunkt fuer einen einsatz als observadora de derechos humanos in einer comunidad/ frayba ist ein haus in dem staendig jemand von einem buero ins andere geht und viele menschen ein und aus / und trotzdem eine ruhe / das gefuehl willkommen zu sein /
nachdem wir versammelt sind eine kurze vorstellungsrunde / ein kurzer und trauriger ueberblick was gerade in chiapas passiert / welche neoliberalen plaene die mexikanische regierung schmiedet und unterzeichnet und welche konsequenzen plaene wie puebla/panamá oder der plan, chiapas touristisch zugaenglicher zu machen auf die region chiapas und ihre bewegungen hat / in welche gemeinden beobachter entsendet werden und aus welchen gruenden / durcharbeiten und diskutieren des manuales fuer menschenrechtsbeobachterInnen / es werden teams gebildet, gemeinden zugeteilt und ich weiss, ich werde die naechsten 2 wochen mit meinen kollegen aus deutschland, der schweiz und aus katalunien in der zapatistischen gemeinde B.A. verbringen
es werden vergangene berichte studiert / viel unserem schweizer kollegen zugehoert, der die gemeinde schon kennt und wir verabschieden uns recht aufgeregt, motiviert und doch auch muede von der ganzen information / am dienstag werden kiloweise frijoles (schwarze bohnen), linsen, pasta und sonstiges gekauft und am mittwoch mittag gehts los /
nach einigen stunden kurvigster fahrt, beeindruckender landschaft, einigen gesungen liedern, falschen informationasangaben nach dem ziel unserer reise an die fahrer und mitfahren des collectivos landen wir im caracol nummer 4, zeigen beim eintritt unseren brief von frayba vor und werden eingelassen / mit der bitte zu warten, denn die junta, der rat der guten regierung, sei wie immer mit viel arbeit beschaeftigt / nach einigen stunden werden wir zur junta gerufen / ein rat aus frauen und maennern unterschiedlichen alters die uns mit worten und auch mit ihren blicken und laecheln die sie uns zukommen lassen willkommen heissen, bevor sie uns gefuehlte tausend fragen zu unserer herkunft, arbeit, entsendeorganisation, motivationen und plaenen stellen, die sechsfach mitgeschrieben werden, von scherzen unsererseits oder seitens der junta begleitet werden was das schraege gefuehl entschaerft das anfangs eintritt wenn man da vor so an den 15 leuten der guten regierung (denn die schlechte sitzt in mexico d.f.)sitzt, die dich unter die lupe nehmen
waehrend der guten eineinhalb stunden die wir mit der junta verbringen kommen staendig nachrichten ueber das walkie talkie und die junta erklaert uns dass sie sich erst beraten muessen, in welche gemeinde sie uns entsenden werden / es bleibt zeit zum quatschen mit einem comisario de educación der mit ruhigen, langsamen worten unsere fragen beantwortet / “und wie organisiert ihr eure schulen?“ “je nach dem, was die comunidad braucht” / “wie funktioniert dieses oder jenes?” “je nach dem wie es die comunidad braucht und will” / wir hoeren von einem konzept und der idee von bildung, die sich nach beduerfnissen und situationen richtet, was ein laecheln auf unsere lippen zaubert, da die « schlechten regierungen « in unseren so entwickelten laendern noch nicht so weit sind / nach leckersten frijoles, tostadas und atol (warmes getraenk aus mais oder reis) schlafen wir tief und fest im “gaestehaus” im caracol / muede von der reise und aufgeregt auf die naechsten wochen / am morgen verkuendet die junta, dass auch unser team in das besetzte hotel nahe a.c. geschickt wird / wir respektieren die entscheidung der junta, werden sie aber erst einige stunden spaeter nachvollziehen koennen und machen uns zu neunt auf den weg / an der kreuzung zu agua azul, in dessen naehe auch die gemeinde B.A. liegt, zu der wir urspruenglich entsendet worden sind, sehen wir an die 7 autos der policía federal und weitere 5 autos der polizei von Chiapas und etliche busse des militaeres und ein mulmiges gefuehl stellt sich im colectivo ein / es ist uns klar, dass dies nichts gutes zu bedeuten hat / und uns wird klar dass die junta dies wohl geahnt hat und uns deshalb nicht dorthin geschickt hat und wir wuerden gerne wissen, was passiert ist / wir wissen tage spaeter teile der geschichte des konflikts zwischen paramilitaers und companeros der otra campaña um das land nahe des agua azul, nach dem 117 compañeros der otra campaña im gefaengnis gelandet sind, da sie auf ihr recht auf ihr land bestehen (naehere und aktuelle infos zu diesem konflikt findet ihr auf der frayba homepage)
an der kreuzung zum besetzten hotel, steigen wir aus, schnallen uns unsere schweren rucksaecke auf den ruecken und spazieren abwaerts zu unserer destination / ernten komische blicke von dorfbewohnern und von den PRIistas, bei denen wir maut zahlen muessen, um die strasse passieren zu duerfen / an der strasse nahe am hotel gibts schon ein schild mit den worten “bienvenido” daneben ein roter fuenfstern und wir wissen, wir sind bei unserern compañeros angekommen / wir werden herzlich empfangen von 5 compas die dort gerade ihren (achttaegigen) turnus im hotel machen und wir reden mit dem responsable ueber die situation vor ort und fragen was sie von uns brauchen
in der ersten woche unseres aufenthaltes machen wir mit den compañeras wache an der caseta (kassenhaus) circa 300 meter entfernt vom hotel / diese wachen dienen als fruehwarnsystem im falle von angriffen auf zapatistisches gebiet / in diesen tag und nachtstunden gibts zeit zum quatschen / wenn es das spanisch der compas zulaesst und die schuechternheit abnimmt / die compas erzaehlen von ihrer comunidad / von ihrer familie / von ihrer milpa (ihre felder) / vom klima / vom kampf / von der schlechten und von der guten regierung / von den errungenschaften und zukuenftigen zielen ihrer bewegung und fragen nach unserer heimat / nach unseren familien / nach den dingen, die wir ernten bzw. mit welcher taetigkeit wir unsere lebensmittel verdienen, wenn wir sie nicht selbst auf unserem land anbauen, wie das bei den zapatistas ueblich ist / sie erkundigen sich nach unseren kaempfen und wir sprechen ueber aehnlichkeiten, unterschieden und wir teilen ideen und sprechen uns mut zu fuer unsere kaempfe, die sich aehnlich sind aber doch nicht zu vergleichen sind
bei einer nachtwache war ich mit einem compa in einer tzotzil stunde (indigene sprache seiner comunidad), als dieser compa ein geraeusch etwas oberhalb von unsererm standpunkt hoert / er wird sehr nervoes und bittet mich, mit ihm zum hotel zurueckzukehren um die anderen compas als verstaerkung zu holen / wir gehen im stockdunklen zurueck und ich spuere die angespanntheit der situation / im hotel breitet sich die angespanntheit aus und die compas verlassen das hotel, um an der strasse ueber der caseta baumstaemme auf die strasse zu legen um eindringlinge abzuhalten ,lehnen aber hilfe ab.
uns wird in diesen situationen bewusst, wie unberechenbar die situation nach wie vor in einigen zapatistischen gebieten ist und dass das fuer die compas heisst, allzeit fuer alles bereit sein zu muessen / aber abgesehen von diesen naechtlichen geraeschen, dessen ursprung unbekannt blieb und ein auto, dass in einer nacht um 4 uhr morgens bis zur caseta gefahren ist und dann aber umgedreht hat sind keine provokationen im gebiet des hotels vorgefallen
unsere tage sind eher urlaubsaehnlich / schwimmen im fluss / viel musizieren, was auch momente der begegnung mit den compas herstellte / kochen / viele gespraeche / diskussionen / spanischstunden / yogasessions und was uns sonst noch so einfaellt
der turnus der zweiten woche ist mit 18 compas besetzt was fuer uns bedeutet dass wir fuer die tag- und nachtwachen nicht mehr gebraucht werden was unserem ununterbrochenem schlaf in der nacht zugute kommt, aber auch weniger kontakt mit den compas bedeutet, abgesehen vom putztag im hotel, wo wir mit den compas waende und boeden des hauses reinigen
manchmal schwer auszuhalten, dass wir nicht wirklich etwas zu tun haben und im gleichen moment uns unserer aufgabe bewusst sein, dass wir hier sind um uns zu solidarisieren / zu zeigen, dass wir von einem anderen teil der welt sind und vom kampf der zapatistas wissen, inspiriert sind uns sie nicht vergessen haben sondern mit ihnen sind / und dabei spueren dass dieses gefuehl eine grosse hilfe fuer die compas ist.
ein highlight der 2 wochen ist sicherlich die geburtstagsfeier von luis, der seinen ersten geburtstag feiert / mit den companera/os aus seiner gemeinde, aus nachbarcomunidades und mit uns beobachterinnen / nach der messe gibts leckerste mole und kuchen und der ununterbrochene regen kann die feierstimmung nicht trueben
am vorletzten tag gehen wir mit compas in die nahe comunidad, die sowohl von compas als auch von priistas bewohnt wird und wir hoeren an unsere compas gerichtete schreie wie « ihr habt kein recht, hier zu gehen » oder « das ist nicht euer land » und uns wir bekommen zu spueren, wie angespannt die situation in dieser gemeinde ist und uns wird klar, dass die zapatistischen bewohnerInnen diesen provokationen tagtaeglich ausgesetzt sind
nach vierzehn tagen ist es zeit uns zu verabschieden und wir beschliessen, mit den compas, deren turnus auch vorueber ist in die naechste stadt zu fahren um diesen weg zu teilen da unsere compas uns gebeten haben, sie zu begleiten / die compas bekommen nachricht von einer strassensperre an der kreuzung zu agua azul, die companeros und companeras der otra campaña besetzt halten, um ihre compas aus dem gefaegnis zu bekommen und ihr land wieder einzufordern (nach der geschichte die vor zwei wochen passiert ist / es sind immer noch 10 compas inhaftiert – ohne beweise irgendeiner schuld versteht sich) /unsere compas moechten sich nicht zu lange im stau vor der sperre aufhalten, um nicht mit dieser blockade in verbindung gebracht zu werden und um sich lange begegnungen mit polizei und militaer zu ersparen, deswegen machen wir uns doch allein auf den weg
wir uebernachten an der blockade, weil die compas froh sind, wenn beobachterInnen vor ort sind und wir lauschen beeindruckt den reuniones (zusammentreffen), sind erstaunt wie viele menschen in kurzer zeit mobilisiert sind und vor ort sind, wie organisiert, vor willen strotzend und doch mit welcher ruhe und tranquilidad dieser widerstand stattfindet
schwer beeindruckt fahren wir am naechsten morgen, da wir uns bei de junta zurueckmelden muessen und nach einem kurzbesuch bei der guten regierung geht es zurueck nach san christobal, wo wir zeit haben, alle eindrucke, informationen, inspirationen setzen zu lassen / es bleibt viel input, neugierde und noch mehr fragen (da sich mit jeder information, die man mehr hat drei neue fragen stellen) / ich bin mit fragen und zweifel an das theorie-praxis verhaeltnis innerhalb der zapatistischen bewegung gefahren, wollte wissen ob sie ihre konzepte und deklarationen umsetzen und fahre zurueck mit dem wissen, diese frage nicht klaeren zu koennen, da jede communidad die konzepte ein wenig anders umsetzen / die organisation nach wie vor ein versuch ist, am weg ist wie ein caracol (schnecke) /langsam aber sicher /
nach dem direkten kontakt mit den companera/os der zapatistischen bewegung bleibt unglaublicher respekt / vor der indigenen politisch autonome Bewegung an sich / vor den konzepten und vor der gelebten praxis ( von dem mini-ausschnitt von dem ich das beurteilen kann) / vor der konsequenz und der ausdauer / vor dem zusammenhalt und vor der solidaritaet / vor der gelebten, eigenen, autonomen Alternative zum kapitalismus / vor der selbstverstaendlichkeit wie die zapatistas ihren kampf kaempfen / vor der geduld, mit denen sie ihre prozesse vorantreiben, den diese passieren langsam, den das ist der preis der basisdemokratie / vor dem gefuehl dass hier eine welt konstruirt wird, in der tatsaechlich viele welten platz haben / in diesem sinne : UN OTRO MUNDO ES POSSIBLE.